Zertifikate Vertrieb - BaFin Statement trifft auf die Praxis


Start » Der Finanz-Blog » Zertifikate Vertrieb – BaFin Statement trifft auf die Praxis

BaFin Veröffentlichung zum Vertrieb von Anlagezertifikaten

Am 12.03.2025 hat die BaFin die Ergebnisse einer großen Studie in einer Publikation veröffentlicht, die sich mit dem „verstärkten“ Vertrieb von Anlagezertifikaten und Turbo (Hebel) – Zertifikaten beschäftigt hat. Diese Studie wurde im Jahr 2024 begonnen und im Februar 2025 abgeschlossen.

Den Link zur Veröffentlichung hier: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Fachartikel/2025/fa_250312-Pruefung-Zertifikate-Vertrieb.html

Das Ergebnis laut BaFin in einem Satz:

Zertifikate-Untersuchungen: „Viel Licht, aber auch viel Schatten“

In diesem Artikel beleuchte ich das aus dem Blickwinkel der Beratungspraxis – was sehen wir im Beratungsalltag! Ich kommentiere hier nur die Ergebnisse hinsichtlich der Anlagezertifikate – das Thema Turbo (Hebel) Zertifikate klammere ich aus.

Kernsätze aus der BaFin Publikation:

Der verstärkte Absatz von Zertifikaten hat eine enorme Bedeutung für den Verbraucherschutz

In den einzelnen Untersuchungen haben wir durchaus Mängel festgestellt. Das Gesamtergebnis ist aber erfreulich: Systematische und gravierende Missstände gibt es beim Vertrieb von Anlage-Zertifikaten nicht. Es gibt keine Belege dafür, dass Institute ihre Kunden zum Kauf solcher Zertifikate gedrängt haben. Und es ist nur fair, das ebenso öffentlich festzustellen wie die Fehler, die wir kritisieren.

Uns ist aufgefallen, dass einige Produkthersteller ihre Product-Governance-Pflichten nicht einhalten, also nicht ausreichend auf einen verantwortungsvollen Herstellungs- und Vertriebsprozess achten. Unter anderem haben sie Marktszenarien wie fallende oder steigende Kurse nicht vollständig betrachtet. Das ist bedenklich – gerade weil es sich um teilweise sehr komplexe Produktstrukturen handelt.

Im folgenden betrachten wir einen aktuellen Kundenfall und gleichen das mal mit den Aussagen der aktuellen BaFin Publikation ab.

Aktueller Kundenfall

Von einer geschätzten Kollegin habe ich folgenden Fall (anonymisiert) zur Verfügung gestellt bekommen:

Der älteren Dame (82 Jahre) hat bei Ihrer genossenschaftlichen Bank nach „Beratung“, zwei Zertifikate gekauft (verkauft bekommen!). Meine Kollegin hat mich um eine fachliche, zweite Einschätzung zu diesen Produkten gebeten.

Die Kundin wollte € 100.000 relativ kurzfristig anlegen und dabei legte sie Wert auf eine attraktive Verzinsung.

Die Produkte: ZinsFix Step Down Express Zertifikat (Basiswert EuroStoxx 50 Kursindex) 2025/2027 und ZinsFix ST 2025/2026 (Basiswert EuroStoxx 50 Kursindex)

 

Im folgenden zerlege ich die diese kryptische Produktbezeichnung in ihre Einzelteile:

Zertifikat bedeutet: Es handelt sich um eine Inhaberschuldverschreibung (unbesicherter, in einem Wertpapier verbriefter) Kredit an den Herausgeber (Emittenten) . Eine Einlagensicherung, wie bei allen Arten von Kontoguthaben, existiert nicht. Damit ist juristisch das angelegte Kapital bei Insolvenz des Herausgebers (DZ-Bank) einem Rückzahlungsrisiko bis hin zum Totalverlust ausgesetzt.

ZinsFix bedeutet: Unabhängig von den sonstigen Entwicklungen, zahlt die DZ-Bank der Kundin zu festgelegten Terminen einen festen Zins aus. Im Beispiel sind das 4,5% bzw. 5%. ACHTUNG: Es handelt sich um eine absolute Verzinsung, d.h. nicht per annum. Beim ersten Papier beträgt die Laufzeit rund 16 Monate – gezahlt werden 4,5% für diese Laufzeit.

Express bedeutet: Die Wertpapiere haben eine maximale Laufzeit – und können unter bestimmten Bedingungen vorzeitig, also vor der maximalen Laufzeit zum ursprünglichen Investitionswert zurückgezahlt werden. Dies gilt nur für das erstgenannte Zertifikat.

Basiswert EuroStoxx 50 Index bedeutet für diese Zertifikate: Die Rückzahlung des angelegten Betrages ist abhängig von der Kursentwicklung dieses Aktienindexes. Näheres in den nächsten beiden Punkten. Ein Anspruch auf Dividenden der im Index enthaltenen Aktien hat der Kunde nicht!

Die Rückzahlung des Investitionsbetrages hängen an zwei Bedingungen:

  1. StepDown bedeutet (für das 2025/2027 Zertifikat): Wenn zum ersten möglichen Rückzahlungstermin 08/2026) das Rückzahlungslevel nicht unterschritten wird, ist das Laufzeitende vorzeitig erreicht und das Zertifikat wird an diesem Termin zum Nennwert + Zins zurückgezahlt
  2. Barriere bedeutet: wird während der gesamten Laufzeit ein zum Start festgelegter Barriere – Kurs des Basiswertes nur einmal unterschritten, erfolgt keine vorzeitige Rückzahlung. Die Rückzahlung erfolgt entweder zum Nennwert, wenn am Fälligkeitstag mindestens das letzte Rückzahlungslevel (EuroStoxx 50) wieder erreicht wurde, oder sollte das nicht der Fall sein, bekommt der Anleger ETFs auf den EuroStoxx 50 Index ins Depot gebucht.

Die Emittentin sah sich – nicht überraschend –  in den  18- 20 seitigen Verkaufsunterlagen dazu veranlasst, dieses höchst komplexe Auszahlungsprofil auch noch grafisch mit ausführlichen Hilfetexten darzustellen – bitte sehr!

Ich musste das alles mehrmals lesen, um zu verstehen! Wie mag es da Kunden gehen, die kaum Erfahrung in der Kapitalmarktanlage haben?

Welche Rendite kann der Kunde erwarten? Lohnt diese komplexe Struktur überhaupt?

Dazu habe ich mir das Basisinformationsblätter der beiden Zertifikate angeschaut.

  1. Maximale Rendite für: ZinsFix ST2 2025/2026 (EuroStoxx 50 mit ETF Liefermöglichkeit)

Wie man erkennen kann ist die Maximalrendite auf 2,9% p.a. beschränkt – im Gegensatz dazu weist das von der DZ Bank ausgewiesene Stressszenario zum Laufzeitende einen möglichen Verlust in Höhe von 40,3% p.a. aus.

So etwas nennt man eine schiefe Wette. Kleiner möglicher Gewinn – bei möglichem sehr hohem Verlust.

2. Maximale Rendite für: ZinsFix Express  StepDown 2 25/27: Basiswert EuroStoxx 50 (EtF Liefermöglichkeit) 

Bei diesem Zertifikat weist die Renditeszenario – Betrachtung der DZ Bank zur Endfälligkeit und zum „Expresstermin“ nur je zwei positive maximale Renditen aus: 4,4% und 4,5% p.a. zum Expresstermin und 3,3% und 3,9% p.a, zum Fälligkeitstermin. Diese Renditen stehen in einem sehr ungünstigen Verhältnis zu den möglichen Verlusten. Auch hier gilt: das ist eine schiefe Wette! Negative p.a. Renditen von 72,4% und 30,1% p.a.

Welche Kosten entstehen? Haben diese Kosten einen nennenswerten Einfluss auf die „Attraktivität“ solcher Produktkreationen?

Aus den Vertriebsunterlagen der beratenden Bank kommen die nachfolgenden Kostenausweise:

Zertifikat 1 (bis 2026):

Zertifikat 2 (bis max. 2027)

Nach Betrachtung der Kostenausweise (aus den Beratungsunterlagen) ergeben sich Kosten in Höhe von 3,1% bzw. 3,5% bezogen auf den Anlagebetrag. Das bedeutet für unseren Kundenfall Gesamtkosten in Höhe von € 3.300 !! Ich bin der Meinung, ein sehr ordentlicher Stundenlohn für eine Beratung, die sicher nicht länger als 2 Stunden gedauert hat (sehr wohlwollend geschätzt)

Und natürlich wären die Renditepotentiale für die Kundin deutlich besser ausgefallen, wenn diese hohen Kosten nicht angefallen wären.

 

Fazit:

Wenn ich die aktuelle Veröffentlichung der BaFin mit diesem Kundenfall abgleiche, habe ich große Zweifel hinsichtlich der Aussagekraft der Zertifikate – Studie:

  1. Diese Produkte aus dem oben besprochenen Kundenfall werden wie am Fließband produziert. Nachfolgeprodukte nach dem gleichen Strickmuster sind schon wieder in der Zeichnung. Auf Basis der mir vorliegenden „Beratungs“ – wohl eher Vertriebsunterlagen (18-20 Seiten mit für Laien völlig unverständlichen Texten und Erläuterungen) ergibt nach meiner Ansicht ein Anhaltspunkt darauf, dass Kunden zu solchen Produkten gedrängt werden. Sehen Sie selbst: Der Anreiz noch zusätzlich, bei Erreichung bestimmter Volumen einen zusätzlichen BONUS seitens des Emittenten zu erhalten, kann sicherlich dazu beitragen, dass Kunden zum Erwerb solcher Kreationen gedrängt werden!!
  2. Verbraucherschutz und Zertifikatevertrieb? : Sie brauchen nur die Kosten, die deutlich asymetrischen Auszahlungsprofile und die kaum zu überblickende Komplexität in diesen Produkten zu betrachten. Das kann nicht mit echtem Verbraucherschutz in Einklang zu bringen sein. Selbst Experten sind nur mit viel Mühe in der Lage diese Konstrukte zu verstehen, geschweige das Anlagerisiko richtig einzuschätzen.
  3.  Die oben genannten Punkte nicht als systematischen Mangel zu klassifizieren, kann nicht ernsthaft gelingen!